Digitalisierung und das Gesundheitswesen

In einem Artikel, den ich gemeinsam mit Monika Rimmele verfasst habe, diskutieren wir die Umgestaltung unseres Gesundheitssystems durch die Digitalisierung. Mit dem Beginn des Jahres haben in Deutschland Versicherte nun ein Recht auf eine elektronische Patientenakte (ePA), was wir als ersten Schritt in die richtige Richtung sehen. Allerdings betonen wir, dass dies nur der Anfang sein sollte. Unser Ziel ist es, das bestehende reaktive "Krankheitsverwaltungssystem" in ein proaktives "Gesundheitssystem" zu transformieren, das Krankheiten möglichst verhindert oder frühzeitig behandelt, die Effizienz des Gesundheitswesens steigert und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger verbessert.

Wir argumentieren, dass für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem eine longitudinale "digitale Gesundheitsakte" erforderlich ist, die ein Individuum von der Geburt bis zum Tod begleitet und umfassende Gesundheits- und Krankheitsdaten enthält. Intelligente Algorithmen könnten diese Daten nutzen, um Prävention, Diagnose und Behandlung kontinuierlich zu verbessern.

Die aktuelle ePA ist ein guter Anfang, jedoch nicht ausreichend für ein intelligentes Gesundheitssystem. Um dies zu erreichen, benötigen wir robuste, strukturierte medizinische Daten und eine IT-Architektur, die auf international anerkannten Standards basiert. Die Qualität dieser Daten wird die Qualität des lernenden Gesundheitssystems maßgeblich beeinflussen.

Ein wichtiger Aspekt ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die digitale Erfassung ihrer Gesundheitsdaten. Applikationen und Daten müssen rigorosen Qualitätsanforderungen entsprechen. Eine longitudinale Gesundheitsakte, die auf der europäischen Datenschutzgrundverordnung und unseren Werten basiert, wird die Bürgerinnen und Bürger zum aktiven Verwalter ihrer eigenen Gesundheit machen. "Empowerment" und erlernte Gesundheitskompetenz sind hierfür essentiell.

Abschließend rufen wir dazu auf, den Begriff "Patientenakte" zu verlassen und stattdessen von einer "Gesundheitsakte" zu sprechen, die den Ausgangspunkt für eine selbstbestimmte Gesundheits- und Krankheitsverwaltung bildet.

Hier ist der vollständige Artikel: https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/fuer-ein-intelligentes-gesundheitssystem


Die Gesundheitsversorgung wird zum Verbraucherprodukt

Der Wandel im Gesundheitswesen, der durch neue technologische Entwicklungen vorangetrieben wird, ist das Thema eines kürzlich im The Economist erschienenen Artikels. Trotz der bekannten Schwierigkeiten, wie dem Fall von Theranos, zeichnet der Bericht ein vielversprechendes Bild des Gesundheitssektors, das durch einen Zustrom von Kapital und Innovationen geprägt ist. Auf der jährlichen Gesundheitskonferenz von JPMorgan Chase standen künstliche Intelligenz (KI), digitale Diagnostik und Telemedizin im Mittelpunkt des Interesses.

Die Gesundheitsversorgung, die derzeit 18% des BIP in den USA ausmacht, steht vor einem Paradigmenwechsel, bei dem Patienten zunehmend zu Verbrauchern werden. Durch wissenschaftliche Fortschritte in Bereichen wie der Genomsequenzierung und KI werden neue Betreuungsformen möglich. E-Apotheken, Wearables zur Gesundheitsüberwachung, Telemedizin-Plattformen und Heimtests ermöglichen eine direkte und kontrollierte Gesundheitsfürsorge.

Große Pharmaunternehmen wie Johnson & Johnson und GlaxoSmithKline, die traditionell mit Verbraucherprodukten wie Schmerzmitteln und Pflastern in Verbindung gebracht wurden, spalten ihre uninnovativen Verbraucherabteilungen ab, in der Hoffnung auf mehr Innovationskraft.

Große Technologieunternehmen wie Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft investieren Milliarden in Gesundheitsangebote und entwickeln medizinische Wearables und Cloud-basierte Dienste für die Gesundheitsdatenverarbeitung. Im Jahr 2022 werden voraussichtlich 320 Millionen medizinische Wearables ausgeliefert.

Gleichzeitig bringen Start-ups wie Truepill, Hims & Hers Health und Nurx Innovationen in den Online-Apothekenmarkt, während Firmen wie Teladoc in der Telemedizin florieren. Die Heimdiagnostik erfährt durch Start-ups wie Levels Health und Digbi Health eine Rehabilitation, die von der Pandemie und der Gewöhnung an Heimtests profitiert.

Trotz der vielversprechenden Fortschritte gibt es Herausforderungen für das Gesundheitswesen als Verbrauchermarkt. Regulierungsbehörden bemühen sich um schnellere Anpassungen, und es bleibt abzuwarten, wie sich datenschutzrechtliche Regelungen entwickeln werden. Trotz einiger Rückschläge ist die Richtung klar: Eine rückwärtsgewandte, paternalistische Gesundheitsfürsorge weicht einem Markt, in dem die Verbraucher eine aktivere Rolle spielen und Unternehmen dabei helfen, schneller zu genesen oder Krankheiten ganz zu vermeiden. Dies könnte eine negative Prognose für das traditionelle Krankenhauswesen bedeuten, aber für die meisten Menschen ist dies eine positive Entwicklung.

Hier der Link zum Artikel: https://www.economist.com/business/how-health-care-is-turning-into-a-consumer-product/21807114


Kommerzialisierung von KI im Gesundheitswesen: Die Perspektive der Enterprise Käufer 

Jay Rughani und Julie Yoo von Andreessen Horowitz bieten in ihrer Analyse zur Kommerzialisierung von KI im Gesundheitswesen einen tiefen Einblick in die Entscheidungsfindung von Enterprise käufern. Sie betonen, dass beim Evaluieren von KI-Produkten nicht die Technologie an sich im Vordergrund steht, sondern die Lösung eines konkreten Problems – und dies auf eine kosteneffektive Weise.

Die Autoren legen dar, dass Verkäufe an Unternehmen daran gebunden sind, den richtigen Ansprechpartner innerhalb der Organisation zu finden – jemanden, der das Problem versteht, dafür verantwortlich gemacht wird und über das Budget zur Lösung verfügt. Es geht darum, Verständnis für den Entscheidungsweg des Käufers zu entwickeln, sei es der Vergleich von Eigenentwicklung gegenüber dem Zukauf oder die Erwägung alternativer Lösungen.

Rughani und Yoo unterstreichen die Wichtigkeit, eine klare ROI (Return on Investment)-Argumentation und KPIs (Key Performance Indicators) zu definieren, die mit den Prioritäten der Käufer übereinstimmen. Die Integration der Lösung in den Workflow des Anwenders und die Minimierung von Einarbeitungszeit sind ebenfalls entscheidend.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Qualität der Daten und die Berücksichtigung von Sicherheits- und Datenschutzbedenken bei KI-Produkten von größter Bedeutung sind. Dabei betonen sie, dass Verkäufer transparent darlegen müssen, warum sie bestimmte Daten benötigen und welchen Mehrwert der Kunde daraus zieht.

Beim Thema Preisgestaltung und Paketierung von KI-Lösungen diskutieren Rughani und Yoo verschiedene Ansätze, die von traditioneller Preisbildung über API-basierte Preismodelle bis hin zu SaaS-Abonnements reichen. Ein innovatives Modell ist die Vorstellung, KI als „Mitarbeiter“ einzustellen, die zu einem Bruchteil der Kosten von menschlichem Personal arbeiten.

Abschließend betonen die Autoren die Bedeutung eines „Moats“, also einer Verteidigungslinie, die das Geschäftsmodell langfristig vor Konkurrenz schützt. Dabei kann es sich um Kapital, Technologie, Daten oder eine starke Marktpositionierung handeln. Die stärksten Verteidigungen im Gesundheitswesen ergeben sich aus einer festen Marktpositionierung, die mit den Kunden erreicht wird.

Die Schlussfolgerung von Rughani und Yoo ist klar: Auch die besten KI-Modelle scheitern ohne breite Distribution und profitable Monetarisierung. Daher ist es entscheidend, die Denkweise der Käufer und Entscheidungsträger zu verstehen, die über das Schicksal der Produkte entscheiden werden. Sie glauben, dass die besten Entwickler von KI-Lösungen für das Gesundheitswesen nicht nur die neuesten Fortschritte in der KI-Technologie nutzen, sondern vor allem auch wissen, wie sie ein Produkt mit einer dauerhaften Go-to-Market-Strategie kommerzialisieren können.

Hier ist der lesenswerte vollständige Artikel: https://a16z.com/commercializing-ai-in-healthcare-the-enterprise-buyer-perspective/ 


Gesundheitsdaten gehen über Krankendaten hinaus.

Die digitale Transformation des Gesundheitswesens: Eine essentielle Erweiterung der Patientenakte

In einem Artikel, den ich gemeinsam mit Monika Rimmele verfasst habe und der auf Handelsblatt veröffentlicht wurde, diskutieren wir die begrenzte Reichweite der elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland. Wir argumentieren, dass die ePA ein wichtiger Schritt ist, aber sie berücksichtigt nicht die Determinanten der Gesundheit, die bis zu 70% unserer Gesundheit ausmachen. Diese Determinanten umfassen Faktoren wie frühkindliche Entwicklung, Bildung, Arbeitsbedingungen, Ernährung und Wohnsituation.

Unser derzeitiges Gesundheitssystem, das auf dem biomedizinischen Modell basiert, konzentriert sich hauptsächlich auf klar definierbare Ursachen und medizinische Interventionen, vernachlässigt jedoch die Vielfalt der Faktoren, die unsere Gesundheit beeinflussen. Dies führt zu einem reaktiven Ansatz, der sich auf die Behandlung bereits ausgebrochener Krankheiten konzentriert, statt auf Prävention und Lebensstilinterventionen.

Gesundheitsdaten gehen über Krankendaten hinaus.
Gesundheitsdaten gehen über Krankendaten hinaus.

Wir betonen, dass das Gesundheitssystem angesichts einer alternden Bevölkerung und der Zunahme chronischer Krankheiten und Multimorbiditäten einer steigenden Nachfrage gerecht werden muss. Neue Therapeutika und Diagnostika helfen zwar, Leid zu reduzieren, aber um die steigenden Kosten für die Allgemeinheit zu bewältigen und die gesundheitliche Ungleichheit anzugehen, müssen wir über den biomedizinischen Ansatz hinausblicken.

In jüngerer Zeit hat sich der Ansatz, gezielt auf soziale (und weiterer) Determinanten einzuwirken, in Europa neuer Beliebtheit erfreut. "Soziale Verschreibungen" wie gemeinsamer Sport in der Gruppe oder koordinierte Besuche von Senioren und einsamen Menschen sind Beispiele für nicht-biomedizinische Lösungen, die die Gesundheit der Bevölkerung verbessern können.

Wir fordern, dass neben Patienten- und Krankheitsdaten auch Gesundheitsdaten und soziale Determinanten in die Gesundheitsakte aufgenommen werden. Internationale Standards wie Snomed CT, die soziale Determinanten der Gesundheit integrieren, und die zunehmende Beliebtheit tragbarer Sensoren bieten bereits ein Fundament dafür.

Schließlich machen wir darauf aufmerksam, dass die Realisierung eines intelligenten, lernenden Gesundheitswesens keine Utopie mehr ist. Dafür ist eine gründliche Planung, eine solide Datenstrategie, ein erlaubender Datenschutz und der gezielte Aufbau von Gesundheitskompetenz für alle Bürgerinnen und Bürger notwendig.

Hier ist der Original-Artikel: https://www.handelsblatt.com/inside/digital_health/soziale-determinanten-der-patientenakte-fehlen-70-prozent-unserer-gesundheit/26948810.html 


Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen: Eine Revolution steht bevor

Daisy Wolf und Vijay Pande von Andreessen Horowitz beleuchten in ihrer Analyse, warum die Künstliche Intelligenz (KI) die größte Wirkung im Gesundheitswesen haben wird. Sie illustrieren dies anekdotisch anhand einer Einladung zu einem Panel, das die Integration von KI mit Faxgeräten im Gesundheitswesen diskutieren sollte – ein vermeintlich veralteter Ansatz, der jedoch tiefergehende Schlüsse über die Branche zulässt.

Das Gesundheitswesen, das 20% der amerikanischen Wirtschaft ausmacht, hat bisher nur zögerlich Technologien angenommen. Doch Wolf und Pande argumentieren, dass sich dies ändern wird, ähnlich wie in Schwellenländern, die von Bargeld direkt zu mobilen Zahlungen übergingen, ohne die Kreditkarte zu nutzen ("Leapfrogging"). Sie prognostizieren, dass das Gesundheitswesen direkt von Faxgeräten zu KI-basierten Technologien übergehen wird, ohne die traditionelle Unternehmenssoftware als Zwischenschritt.

Sie sehen in der KI die Fähigkeit, die Arbeit von Gesundheitsfachkräften zu übernehmen und diese dadurch zu entlasten, sodass sie sich auf komplexere Probleme konzentrieren können. Dabei betonen sie, dass eine neue Technologie um ein Zehnfaches besser sein muss, um die alte zu verdrängen – eine Hürde, die die Unternehmenssoftware nicht überschritten hat, die KI jedoch spielend meistert.

Die Revolution beginnt mit nicht-klinischen Anwendungsfällen wie Callcentern, Terminplanung und medizinischer Abrechnung. Aber auch die klinische Revolution steht kurz bevor, mit KIs, die ärztliche Prüfungen bestehen und Röntgenbilder lesen können. Bald könnte die Genauigkeit der KI bei Diagnosen und Behandlungsempfehlungen die des Menschen übersteigen. Jeder Arzt wird einen KI-Co-Piloten zur Seite haben, und regulatorische Wege für klinische KI-Anwendungen sind bereits vorhanden.

Dies ist für jeden Menschen auf dem Planeten ungemein aufregend. Die größten Herausforderungen im Gesundheitswesen liegen in der Zugänglichkeit und den Kosten. KI wird beides adressieren: Menschen werden schnelleren Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung haben und KI wird die Kosten senken, indem sie menschliche Dienstleistungen durch KI-unterstützte Dienste ersetzt. Dies könnte zu einer Zukunft führen, in der sich jeder erstklassige medizinische Versorgung leisten kann und medizinische Schulden nicht mehr die Hauptursache für Insolvenzen sind.

Abschließend rufen Wolf und Pande Skeptiker dazu auf, eine bessere Branche zu finden, in der KI die zwei größten Herausforderungen lösen und dabei unzählige Leben retten kann. Sie sind überzeugt, dass das Gesundheitswesen der nächste Horizont ist und investieren in eine Zukunft, in der Geschichten über Faxgeräte nur noch den Enkelkindern erzählt werden.
Quelle: https://a16z.com/where-will-ai-have-the-biggest-impact-healthcare/


Jahrelang wurden Projektionen steigender Kosten im Gesundheitswesen propagiert, getrieben durch Extrapolation neuer teurer Diagnostika und Therapien — kostensenkende Faktoren wurden oftmals ignoriert.

Kosten im Gesundheitswesen: Der unerwartete Stillstand

Laut einem Artikel des Economist hat sich eine langjährige Annahme im Gesundheitssektor als falsch erwiesen: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen nicht länger unaufhaltsam an. In der Vergangenheit verschlang der Gesundheitssektor einen immer größer werdenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den USA stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP von 5% im Jahr 1950 auf 17% im Jahr 2009. Ähnliche Trends waren weltweit zu beobachten. Doch dieser Trend hat sich überraschend umgekehrt.

Trotz alternder Bevölkerungen und der anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie nimmt der Gesundheitssektor nicht mehr die Wirtschaft in Beschlag. Im reichen Teil der Welt ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP seit 2020 nahezu auf das Niveau von 2008 zurückgegangen. Dies hat zu einer erheblichen Kosteneinsparung geführt – etwa 2 Billionen Dollar unter dem Trend vor 2009.

Jahrelang wurden Projektionen steigender Kosten im Gesundheitswesen propagiert, getrieben durch Extrapolation neuer teurer Diagnostika und Therapien — kostensenkende Faktoren wurden oftmals ignoriert.
Jahrelang wurden Projektionen steigender Kosten im Gesundheitswesen propagiert, getrieben durch Extrapolation neuer teurer Diagnostika und Therapien — kostensenkende Faktoren wurden oftmals ignoriert.

In einigen Ländern wie Australien und Schweden ist das Verhältnis von Gesundheitsausgaben zum BIP sogar zurückgegangen. In Norwegen fiel es seit 2016 um bemerkenswerte 2,5 Prozentpunkte. Sogar in den USA, bekannt für hohe Gesundheitskosten, zeigt eine neue Maßnahme des Bureau of Economic Analysis, dass der Anteil der Ausgaben für Gesundheitspflege seit vor der Pandemie fällt.

Die einst inflationäre Gesundheitsbranche zeigt nun eine Inflation, die sich eher im normalen Bereich bewegt. Die allgemeinen Gesundheitspreise in Amerika, die nicht nur direkt von den Verbrauchern gekaufte Waren, sondern auch von Dritten wie Versicherungen bezahlte Dienstleistungen umfassen, stiegen von den 1970er bis in die 2000er Jahre jährlich über dem Durchschnitt an. Um 2010 kehrte sich dieser Trend um – und das trifft auch auf andere Regionen zu. Im Vergleich zum "BIP-Deflator", einem gesamtwirtschaftlichen Inflationsmaß, ist der Deflator im Gesundheits- und Sozialwesen weltweit kaum gestiegen.

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als frühere Warnungen einen anderen Trend vorausgesagt hatten. Präsident Barack Obama erklärte 2009, dass das Gesundheitsproblem Amerikas gleichbedeutend mit einem Defizitproblem sei. Die britische Finanzaufsicht warnte 2017 vor einem zusätzlichen Schuldenanstieg um 90% des BIPs bis zu den 2060er Jahren aufgrund von "übermäßigem Kostenwachstum" im Gesundheitswesen. Doch diese Prognosen scheinen nun übertrieben.

Zu den Faktoren, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben, gehören Verbesserungen auf der Angebotsseite wie Produktivitätssteigerungen im Gesundheitswesen, die normalerweise schwer zu erzielen sind, da es sich um eine arbeitsintensive Dienstleistung handelt. Doch es gab Fortschritte. In den USA und Großbritannien hat sich die Arbeitsproduktivität im Gesundheitswesen und in der sozialen Betreuung seit 2000 deutlich verbessert.

Technologische Veränderungen spielen ebenfalls eine Rolle. Langfristig haben Innovationen die Gesundheitskosten in der Regel erhöht, da sie Behandlungen für zuvor unheilbare Krankheiten ermöglichten. Doch die Art der Innovationen könnte sich nun in Richtung präventiver Maßnahmen verschieben, was langfristig kostensenkend wirken könnte.

Auch Nachfragefaktoren tragen zur Kostendämpfung bei. In Amerika hat der Affordable Care Act (ACA) von 2010 den Rückgang der Kosten verstärkt, indem er die Erstattungsregeln der Regierung verschärfte und unnötige Behandlungen erschwerte. In Europa haben viele Regierungen nach der Finanzkrise 2007-09 Sparmaßnahmen eingeleitet, darunter Lohnbegrenzungen und Dienstleistungskürzungen.

Ein weiterer Nachfragefaktor ist das insgesamt schwächere Wirtschaftswachstum. Gesundheitsversorgung ist ein "superiores Gut". Wenn das Einkommen der Menschen steigt, steigt ihre Nachfrage nach Gesundheitsversorgung überproportional an. Da das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens in der reichen Welt seit 2008 deutlich langsamer ist, erklärt dies zu 40-60% die Abflachung der Kostenkurve.

Die Zukunft der Gesundheitskosten bleibt ungewiss. Eine alternde Bevölkerung wird die Nachfrage weiter erhöhen, während die Inflation Reduction Act in Amerika die Preise für Medikamente zu senken versucht. Was jedoch klar ist: Gesundheitskosten müssen nicht zwangsläufig die Wirtschaft verschlingen.
Hier ist der spannende Artikel: https://www.economist.com/finance-and-economics/2023/10/26/how-health-care-costs-stopped-rising


Kommerzialisierung von KI im Gesundheitswesen: Die Aufgaben, die es zu erledigen gilt (Jobs to be Done)

Jay Rughani, Daisy Wolf, Vijay Pande und Julie Yoo von Andreessen Horowitz skizzieren in ihrem Artikel die Herausforderungen und Chancen, die sich bei der Kommerzialisierung von KI im Gesundheitswesen bieten. Sie nutzen dabei den Ansatz "Jobs to be Done" (JTBD) nach Clay Christensen und bewerten sowohl potenzielle Produktansätze als auch Geschäftsmodelle, um die vielversprechendsten Anwendungen von KI im Unternehmensgesundheitswesen zu identifizieren. Dabei unterscheiden sie zwischen dem Einsatz von generativen KI-Modellen in Form von großen Sprachmodellen (LLMs) und traditionellem maschinellem Lernen (ML).

Die Autoren heben hervor, dass Unternehmensaufgaben im Gesundheitswesen besonders für KI geeignet sind, da sie auf der Synthese großer Mengen komplexer Daten basieren und oft arbeitsintensiv sind. Sie identifizieren Aufgaben, die sowohl klinischer als auch nicht-klinischer Natur sind und sowohl konsumenten- als auch profi-orientiert sein können. Jedes Feld auf ihrer Matrix repräsentiert eine Gelegenheit für ein Unternehmen, sich mit KI einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.

Die Auswahl der JTBDs basiert auf Kriterien wie hohen Ausgaben für hochqualifizierte Arbeitskräfte, dem Potenzial für eine 10-fache Leistungssteigerung durch KI, Bereichen mit niedriger Softwarenutzung und gut verstandenem regulatorischen Risiko. Wichtig ist auch, dass sich die KI-Lösungen in etablierte Einnahmequellen und finanzielle Anreize einfügen.

Einige JTBDs haben es aufgrund dieser Kriterien nicht auf die Liste geschafft, können aber an Bedeutung gewinnen, sobald sich Technologie, finanzielle Rahmenbedingungen und regulatorische Grundlagen weiterentwickeln.

Abschließend betonen die Autoren, dass erfolgreiche Unternehmen im Bereich der KI im Gesundheitswesen nicht nur die neuesten KI-Fortschritte nutzen, sondern auch über eine nachhaltige Markteinführungsstrategie verfügen sollten. Sie sehen einen dringenden Bedarf für Unternehmer, die Lösungen für Skalierbarkeit und Kostenstrukturprobleme entwickeln, die einzigartig mit KI adressiert werden können. Der Artikel kündigt an, dass Teil B der Serie Einblicke von den Käufern von KI-Lösungen im Unternehmensgesundheitswesen bieten und Verteidigungsfähigkeit, Preisgestaltung und Verpackung dieser KI-Lösungen diskutieren wird.

Den vollständigen Artikel kann man hier lesen: https://a16z.com/commercializing-ai-in-healthcare-the-jobs-to-be-done/ 


Integration als Kern des Designs bei digitalen Gesundheitsanwendungen

In einem Artikel, mitverfasst von der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), betonen wir die Notwendigkeit der Integration in Healthcare-Startups von Beginn an. Wir erinnern daran, dass eine Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen integriert sind, ein erstrebenswertes Ziel ist, und zitieren von Weizsäcker: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Digitale Gesundheitsanwendungen sollten daher Teilhabe und Inklusion fördern.

Die Tech-Branche weltweit wird dazu aufgefordert, inklusive Produkte zu schaffen. In Deutschland jedoch wird integratives Design im Gesundheitssektor oft vernachlässigt oder auf später verschoben. Dabei ist es ein wesentlicher Bestandteil des User Experience (UX) Designs. Ein Design, das nicht alle Nutzergruppen einbezieht, riskiert, bestimmte Personen auszuschließen.

Wir erläutern, dass integratives Design über die Reduktion von Zugangsbarrieren hinausgeht und die Bedürfnisse von Nutzer:innen berücksichtigt, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer unterdrückten Gruppe oder Minderheit oft ausgeschlossen werden. Jeder, der am Design eines digitalen Produkts beteiligt ist, trägt Verantwortung für dessen soziale Auswirkungen.

Um Produkte zu gestalten, die allen das Gefühl geben, willkommen und geschätzt zu sein, schlagen wir verschiedene Strategien vor:

  1. Diversität im Team, um Vorurteile und beschränkte Sichtweisen zu erkennen.
  2. Nutzer:innen einbeziehen, insbesondere jene mit besonderen Bedürfnissen.
  3. Zugänglichkeitsstandards nutzen, wie die Web Content Accessibility Guidelines oder Googles Material Design.
  4. Willkommen heißende Bildersprache durch Abstraktion und Diversifikation.
  5. Inklusive Texte, die einfach und verständlich sind.
  6. Formulare, die kurz und dennoch aussagekräftig sind und die Nutzer sich verstanden fühlen lassen.
  7. Sprachgesteuerte Interfaces, die sensibel mit Akzenten und Stimmgeschlecht umgehen.

Wir betonen, dass im Gesundheitswesen Integration ein klarer Teil der Innovationsprozesse sein muss, um niemanden auszuschließen. Ziel ist es, intuitive und sichere Lösungen durch smartes Design zu entwickeln – ein Merkmal vieler erfolgreicher Unternehmen.

Hier ist der Artikel aus dem Handelsblatt https://www.handelsblatt.com/inside/digital_health/gastbeitrag-digitale-anwendungen-muessen-barrierefrei-sein/28294868.html 


Gesundheitsdienste im Chaos

Laut einem Bericht von "The Economist" befinden sich die Gesundheitssysteme vieler reicher Länder trotz der Entspannung der COVID-19-Situation näher am Zusammenbruch als je zuvor seit Beginn der Pandemie. Die Zeitschrift hat eine Vielzahl von Statistiken aus verschiedenen Ländern analysiert, um ein Bild von der aktuellen Lage zu zeichnen. Insbesondere in Großbritannien ist der National Health Service (NHS) stark belastet. Die Wartezeiten für ambulante Notfälle, einschließlich Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten, haben sich von durchschnittlich 20 Minuten auf über eineinhalb Stunden erhöht.

Auch in anderen Ländern gibt es ähnlich beunruhigende Trends. Eine globale Umfrage von Ipsos zeigt, dass die Zufriedenheit mit lokalen Gesundheitsdiensten in nahezu allen reichen Ländern zurückgegangen ist. In Italien beispielsweise sind die Wartelisten für nicht dringende medizinische Untersuchungen wie Brustultraschall in manchen Städten auf bis zu zwei Jahre angestiegen.

Selbst in Ländern mit reichen und kompetenten Gesundheitssystemen wie der Schweiz und Deutschland gibt es Engpässe bei der Intensivpflege. In Singapur hat sich die Wartezeit in Polikliniken von neun auf dreizehn Stunden erhöht. Die USA schneiden im Vergleich besser ab, erleben jedoch auch eine zunehmende Belegung von Krankenhausbetten und Belastung der pädiatrischen Stationen.

Diese Probleme sind nicht auf mangelnde Finanzierung zurückzuführen. Die Gesundheitsausgaben in den OECD-Ländern liegen nahe bei 10% des BIP, wobei 18 der 20 Länder mit Daten für 2021 mehr pro Person ausgaben als je zuvor. Die Herausforderung scheint eher in der Effizienz zu liegen. In vielen Bereichen wird trotz höherer Mitarbeiterzahlen weniger geleistet.

Eine zusätzliche Belastung für das Gesundheitswesen ist die Erschöpfung des Personals nach drei anstrengenden Jahren. Die Produktivität hat zwar abgenommen, ist aber nicht in dem Maße eingebrochen, wie es nötig wäre, um das Chaos zu erklären. Der wahre Grund für die Probleme scheint in der explodierenden Nachfrage zu liegen. Durch die Lockdowns wurden viele Erkrankungen nicht diagnostiziert und behandelt, und nun holen die Menschen die Versäumnisse nach. So ist die Zahl der Krebsdiagnosen in Italien im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren um etwa 40% gesunken.

Zusammengefasst steht die Gesundheitsversorgung vor einer großen Herausforderung: Die Nachfrage nach medizinischer Hilfe steigt, während die Systeme unter einer Kombination aus Pandemiefolgen und strukturellen Ineffizienzen leiden.

Hier ist die Quelle: https://www.economist.com/finance-and-economics/2023/01/15/why-health-care-services-are-in-chaos-everywhere 


Die Revolution der Arzneimittelforschung durch KI

In einem Gespräch zwischen Vijay Pande von Andreessen Horowitz und Daphne Koller, Gründerin und CEO von Insitro, entfaltet sich eine Vision, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Arzneimittelforschung revolutionieren könnte. Koller, eine Pionierin im Bereich der KI und Mitbegründerin von Coursera, sieht in den Life Sciences eines der wichtigsten und herausforderndsten Felder unserer Zeit, besonders unter dem Aspekt, menschliche Gesundheit sicher und effektiv zu verbessern. Für sie ist der Zeitpunkt für einen solchen Fortschritt gekommen, da wir nun in der Lage sind, biologische Prozesse im großen Maßstab zu messen und zu quantifizieren.

Insitro nutzt eine "Datenfabrik", um pluripotente Stammzellen zu untersuchen und daraus zelluläre Modelle zu generieren, die Krankheitsmutationen aufzeigen und zu neuen Erkenntnissen in der Krankheitsbekämpfung führen. Koller erklärt, dass diese Fähigkeit, Daten spezifisch zu generieren, einzigartige Möglichkeiten für die Life Sciences und für KI-Probleme bietet, wie etwa aktives Lernen und experimentelles Design.

Das Ziel ist es, ein umfassendes Modell – vergleichbar mit großen Sprachmodellen (LLMs) für natürliche Sprachen – für die Biologie zu entwickeln, welches die Unterscheidung zwischen Krankheit und Gesundheit ermöglicht und das Verständnis für die Grundlagen der Biologie verbessert. Dies würde nicht nur für zelluläre Daten gelten, sondern auch für klinische Daten und könnte dazu führen, dass wir die Sprachen verschiedener biologischer Modalitäten lernen und zwischen ihnen übersetzen können.

Die Vision ist, dass bis Ende des Jahrzehnts ein systematischer Prozess etabliert wird, der von der Entscheidung, an einer bestimmten Krankheit zu arbeiten, bis hin zur Entwicklung einer sinnvollen Intervention führt. Gleichzeitig wird die kontinuierliche Verbesserung biologischer Werkzeuge wie CRISPR das Spektrum der behandelbaren Krankheiten erweitern.

Koller betont die Komplexität biologischer Experimente und die Notwendigkeit, diese durch den Einsatz von KI und Automatisierung zu standardisieren. Sie hebt hervor, dass die wirkliche Herausforderung und zugleich das Potenzial darin liegt, wenn KI beginnt, die physische Welt zu berühren, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft, Umwelttechnik oder im Materialwesen.

Zusammenfassend zeigt das Gespräch zwischen Pande und Koller, dass die Verbindung von KI und Life Sciences eine Ära der "digitalen Biologie" einläuten könnte, die das Potenzial hat, nicht nur die Arzneimittelforschung, sondern auch andere Bereiche wie die Landwirtschaft und den Umweltschutz grundlegend zu verändern.

Hier ist das Interview zu sehen: https://a16z.com/digital-biology/